Ela Posch

Das A und O der Macht: Was Nymphen über weiße Heteromanen erzählen

 

Fragen der Macht und Ausführungen zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Wirkmächtigkeit schreiben sich in den gesamten Text der Autorin Elfriede Jelinek ein, in dem sie auf Lars von Triers Film Nymph()maniac (2013) Bezug nimmt.[1] In dem knapp fünfstündigen Zweiteiler erzählt die Protagonistin Joe (Charlotte Gainsbourg) dem älteren Seligman (Stellan Skarsgård) die Geschichte ihrer Sexualität und konstruiert durch das Erzählen ihrer Erinnerungen eine Biografie über das Leben einer Nymphomanin.[2] Bezugnehmend auf den Film äußert Jelinek die Frage des eigenen Seins innerhalb gesellschaftlicher Machtstrukturen und verdeutlicht in dieser Fragestellung eine geschlechtlich markierte Schieflage, insofern, als die Thematisierung gegenwärtiger sexueller Praktiken und Diskurse einem androzentrischen Geschlechterregime unterliegen würden. Trier verschreibt sich jenen gesellschaftlichen Debatten indem er diese zeitgemäß aufgreift, was sowohl in der inhaltlichen als auch formalen filmischen Auseinandersetzung offensichtlich wird. Die Autorin Jelinek fügt Triers Deutung von gesellschaftlichen Pornografisierungsprozessen einen weiteren spezifischen Blick hinzu: sie nimmt auf das vergeschlechtlichte Verhältnis von Sexualität in einer nord_westlich geprägten und ausgerichteten Gesellschaft Bezug. Ihre Analyse ist eindeutig: seit der sogenannten sexuellen Befreiung der 1960er Jahre und einer folgenden neosexuellen Revolution haben sich zwar Grenzen sexueller und geschlechtlicher Empfindungs- und Lebensweisen durchweicht[3], nicht aber zwingendermaßen spezifische Konstruktionsweisen eines natürlichen Verhältnisses von Sexualität und Geschlecht.[4] Diesbezüglich lässt sich Laura Mulveys einstige pointierte Analyse zum Hollywoodkino in ihrem Aufsatz Visual Pleasures and Narrative Cinema in dramatischer Weise genre- und zeitenübergreifend übertragen (vgl. Mulvey, Laura: Visual Pleasures and Narrative Cinema. In: Screen 16/3 (1975), S. 6-18). Durch die Diskursivierung[5] des Verhältnisses von Sexualität und Geschlecht überlagern sich die Ebenen des Films mit realgesellschaftlichen Prozessen: Während der Film Aussagen über gesellschaftliche Phänomene transportiert, muss er zugleich als Teil der Gesellschaft selbst und als aus dieser heraus entstanden betrachtet werden.

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  • Ela Posch Studien der interdisziplinären Gender Studies an der Universität Wien, der transdisziplinären Geschlechterstudien an der Humboldt Universität zu Berlin sowie der Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz. Universitätsassistent_in für Gender Studies am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Dissertation mit dem Titel Filmemacher_innen in Bewegung: trans_mediale Praxen, trans_kulturelle Verflechtungen. Aktuelle Forschungsinteressen: Biografieforschung, Diskursanalyse, Arts Related Research Practice sowie Theorien der Gender Studies, Queer Studies und Cultural Studies.

     

Anmerkungen


­[1] Jelinek, Elfriede: Zur Kinofassung von Lars von Triers "Nymph()maniac". http://www.elfriedejelinek.com/fnymphomaniac.htm (17.06.2017), datiert mit 21.4.2014 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2014, Zum Kino).

[2] Joe bezeichnet sich in Nymph()maniac selbst als Nymphomanin und weigert sich, in der Selbsthilfegruppe - für an Sexsucht erkrankte Frauen - als sexsüchtig benannt zu werden. Während Seligman in der Nymphe ein Jungstadium von Insekten erkennt und damit Parallelen zu Joes Erzählungen aus ihren Erlebnissen als Jugendliche zieht, eröffnet sich im Dialog der beiden ein historisch weit zurückreichender Diskurs zur Pathologisierung weiblicher Sexualität und deren Ausformungen. Im Handbuch Sex and Society wird der Terminus Nymphomania in seiner historischen und inhaltlichen Dimension folgendermaßen erläutert: "The term 'nymphomania' (or 'furor uterinus') was first coined in 1771 by the French physician Bienville in his treatise 'Nymphomania, or a Dissertation concerning the Furior Uterus'. The term is derived from the Greek words 'nymphe', meaning 'bride,' and 'mania', meaning 'madness'. Historically, the term 'nymphomania' has been used to describe what society perceived as excessive female sexual desire." McBride, Kim: Nymphomania. In: Bernabeo, Paul (Hg.): Sex and Society. Bd. 2: Generations - Pill, The. New York: Marshall Cavendish 2010, S. 577-579, S. 577.

[3] Neben zahlreichen feministischen Bewegungen in den USA, die sich u.a. für die sexuelle Selbstbestimmung und einer politisch gleichberechtigten Teilhabe von als Schwarz gelesenen Frauen, Lesben und Women of Color engagierten (wie etwa das Combahee River Collective, vgl. Schiebenhofer 2008), kritisierte beispielsweise die Neue Frauenbewegung der 1960er Jahre in Westdeutschland gleichermaßen die in einem androzentrischen Rahmen verbleibenden Auswirkungen der sexuellen Revolution und wandte sich gegen patriarchale Weiblichkeitsvorstellungen in Bezug auf den Körper und die Sexualität von Frauen (vgl. Bührmann, Andrea / Mehlmann, Sabine: Sexualität. Probleme, Analysen und Transformationen. In: Becker, Ruth: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS 2008, S. 616- S. 624).

[4] Dass der Körper auch aus aktueller Sicht gemeinhin der Sphäre des Natürlichen zugeordnet und geschlechtlich codiert wird, was konkrete Auswirkungen auf die einzelnen Subjektpositionen zur Folge hat, wird mittlerweile von zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen problematisiert, wie beispielsweise in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Sexualität als wesentlicher Ort der Verschränkung von sozialem Körperwissen und leiblicher Erfahrung verdeutlicht die enge Verwobenheit und Konstruiertheit von Körper, Begehren und sexueller Identität mit gesellschaftlichen Strukturen (vgl. Villa, Paula-Irene: Sexy Bodies. Wiesbaden: VS 2011, S. 229).

[5] Michel Foucaults genealogische Arbeiten zum Sexualitätsdispositiv und zur Diskursivierung der Sexualität (vgl. Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit. Bd. 1: Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983) verdeutlichen, dass Sexualität, Körper und sexuelle Identität nicht als naturgegeben, sondern als Effekte von Macht hergestellt werden - eine Sichtweise, die als wesentlicher Baustein in queer-theoretische Analysen und Kritik aufgenommen wurde (vgl. Lorey, Isabell / Ludwig, Gundula / Sonderegger, Ruth: Foucaults Gegenwart. Sexualität - Sorge - Revolution. Wien: transversaltexts 2016, S. 17- S. 18).