Gerhild Steinbuch

FINAL G()RLS

There is a place
not here
nor near nor far

Goes and comes
wherever you are

Don’t go don’t go don’t go

(Charles Bernstein: Fantasy on Nightmare on Elm Street Theme)

 

 

1.  Ein flauschig weicher Mantel

Wenn man eigentlich nur noch nach innen schauen kann vor lauter Angst, schaut man am liebsten stur nach außen. Natürlich nicht in die Welt, die auch mit Angst vollgestellt ist, lieber woanders hin den Blick gerichtet, von wo er nicht zurückgeworfen wird, wo nichts zurückgeworfen wird, nach dem man sich dann umdrehen muss, um erst wieder der Angst gewahr zu werden, die jetzt auch auf den Schultern sitzt, oder schon immer? egal, eben noch vor mir, hinter mir, jetzt über mir, wie macht die das bloß?, die Angst im Innen wie im Außen, als Körper, in und unter dem ein ganzer Möglichkeitsraum begraben liegt, läge, aber ich greife vor, Angst Angst Angst, soweit das Auge reicht.

Allerdings entspricht die Angst dem Innen insofern, dass sie ganz genauso inkomplett ist, von nichts kann ja nichts kommen, von nichts kommt nichts, durch die Risse bleibt also noch sichtbar, wovon abzulenken die Angst und ich ja dieses Dienstverhältnis überhaupt erst eingegangen sind, oder eingehen mussten? Und dort, im Dahinter, ist das jetzt das sogenannte Leben? Wenn man eigentlich nur noch Angst hat, schaut man am liebsten dorthin, wo das Leben ganz bestimmt nicht ist. Wenn man nicht immer nur nach innen schauen will, nein, wenn man nicht immer nur nach innen schauen darf, damit die Unterwerfung nicht auffällt, schaut man zwangsläufig stur nach außen. Macht nichts. Damit die Macht hinter der Angst nicht auffällt, ist man angehalten, stur daran vorbeizuschauen. Man schaut an allem vorbei, vor allem an sich selbst.  Das war ja einfach. Ja, das ist ziemlich einfach: Man kann von den Untoten wegschauen, weil das eben so gemacht wird, Hexen werden ohnehin verbrannt, weil das eben so gemacht wird, Zwischentöne werden verbannt und Menschen sind Männer und Frauen, weil das eben so gemacht wird, Frauen sind Frauen und Männer sind Menschen, weil sie eben so gemacht sind. Der Körper passt nicht, aber er wehrt sich auch nicht unter seinem Angstmantel, der ihn so schön flauschig weich umhüllt, dass die Brandwunden und andere Verletzungen, andere Einschnitte, die Ein-  und Zuschreibungen nicht weiter auffallen, auffallen dürfen, obwohl sie ins Gewicht fallen, fallen sollten. Wessen Angst ist diese Angst da, die ich meine, wer hat das Mäntelchen geschneidert und wer muss es tragen, als Schutz vor Welt, als Schutz der Welt vor ihr? Welcher Raum öffnet sich mir, wenn sich ein anderer, der der sogenannten Wirklichkeit, schließt, wenn er sich verschließt, wenn meinem Körper, als der Körper, der er eben ist, der Zugang verwehrt wird?


2. Spurlos verschwinden

Da trittst du also aus dem Leben, girl, und in die Geschichte, irgendjemand muss dort ja zurückgelassen werden, irgendjemand muss zurücktreten, getreten werden, trittst das Leben probeweise und das Leben tritt dich raus, aus der Welt, die ohnehin nie deine war, weil du es verabsäumt hast, dir ein Häkchen für dein Mäntelchen einzuschlagen, an dem du dich und mich dann postwendend mit ganzem Körper erhängen kann, wie man das als Frau mit Frauenkörper so macht, und dieser Körper ist schließlich ein Frauenkörper, das lehrt uns schon allein der Angstmantelschnitt, der den Körper so ummantelt, dass er nur als Frauenkörper Gewicht hat, der ja ohnehin kein Gewicht hat.

Die Leinwand ist der Ort, wo etwas erscheint und spurlos wieder verschwindet, im Gegensatz zum wirklichen Leben oder zum wirklichen Körper, der aber ja ohnehin flauschig warm weit weg ist. Schaust also in den Ort hinein, girl, an dem Dinge verschwinden, ohne sich in den Körper einzuschreiben. Aber was heißt der für mich, dieser Ort, an dem das verschwindet, das hier im sogenannten Draußen seine Spuren an mir hinterlässt, und was heißt es, wenn ich mich in dir erkenne, girl, an der die Geschichte zwar Spuren hinterlässt, rote Linien, Schrammen, Narben, aber keinen roten Faden, der letztgültig ins Leben führt, der uns ins Leben führt? Diese Geschichte, die geht fast immer gut aus, aber weiter geht sie nicht.


3. Of monsters and other Monstrositäten

Das Monster tritt auf, das Fremdartige, Fremde, und alles Fremde ist das Nicht-Eigene, das Nicht-Männliche, es tritt die Heldin auf, als Monster, Feministin, final girl, sie tritt also auf, und das Monster tritt mit ihr auf, das Fremdartige, Fremde, das Alien, das herausbricht, sich aus dem Körper schält, das die Geschichte übernimmt und erst mal aufräumt. Aber liegt das an der Trennunschärfe zwischen Heldin und Monster oder dient es als die Strafe dafür, dass die Heldin trotz aller äußerer Bemühungen das weibliche Selbst nicht ablegen kann? Ist das Monströse die Geschichte, die sich in den Räumen hinter dem Ort der Betrachtung abspielt, die eigentlich erzählt wird, und wie komme ich, die ich in den imaginären Raum starre, zu meinem Körper zurück, an dem ich ohnehin schlecht anzukommen, an den ich kaum heranzukommen vermag, oder zumindest nicht so, dass ich ihn so als Frage stellen könnte, in seiner weichen Angstummantelung, dass danach was andres kommt, dass da etwas rausbricht, anstatt bloß wieder befallen zu werden, von dieser Angst, die keine Fragen zulässt, weil dieser Körper keine Fragen zu stellen hat, weil er sich zu stellen hat, als Auslaufmodell Zielscheibe Zeitvertreib schöne Aussicht, der wird höchstens manchmal angesprochen, hallo, du etwas aussichtsloses Werkzeug! oder er wird einfach anspruchslos gleich mitgenommen, ohne zu fragen, sicher ist sicher. Es ist ein ständiges Zurückgerissenwerden in diesen Körper, der nicht in die Geschichte passt. Nur als Unterwerfung. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und diese Geschichte einer Unterwerfung ist eine schöne Geschichte. Nein, das war gelogen. Wenn das final girl, und um dieses soll es hier gehen, wenn das final girl, wenn sie ums Überleben kämpft, dann nicht gegen das Monster, das sie selbst ist, sondern für die sogenannte Monstrosität, die Abweichung, den angeblichen Mangel, dem der flauschig weiche Mantel im schicken Damenschnitt die Luft abdrückt, während unter selbigem Angstmantel sämtliche Brandwunden und andere Einschnitte verborgen bleiben sollen.

Dabei wäre doch das Menschliche gerade die Verwundbarkeit, Verbundenheit, anstelle der Überschreibung mit der Erzählung einer abgeschlossenen Psyche, eines unversehrten Körpers. Der  Raum hinter dem Raum als Ort der Macht - oder als Ort der Möglichkeit, an dem die final girls, festgekettet an ihre Geschlechterrollen, dem Ausbruchsversuch harren, den Herausbruchsversuch wagen, während das Monster im Vordergrund vermeintlich tobt und ablenkt von dem, was stattfinden könnte: eine performative Monstrosität, ein Durchbrennen durch die vordergründige Geschichte, bis ins sogenannte Leben - mit oder ohne telekinetische Fähigkeiten.


4. Durchgebrannt

Da steht er also jetzt, der finale girl-Körper und erntet Blicke, die ihr Ziel nicht verfehlen, die zurichten und ordnen, denn Ordnung wo Ordnung hingehört, die ja schon deshalb überall hingehört, weil sie so schöne Schneisen in diverse Körper furcht, dass man ihr ihre Nichtpassung die Körper und Menschlein betreffend fortan nicht mehr ansieht. Also Ordnung schöne Ordnung, damit man das Denken nicht aushalten muss, damit man es getrost sein lassen kann. Ordnung ist das halbe Leben, nein, das ganze, denn es wurde schließlich Platz geschaffen, was an diesen roten Linien, nein, diesen roten Fäden zweifelsfrei zu erkennen ist. Aber es geht nicht weiter, es stockt das Rad des Erzählens schon wieder, eigentlich dauernd, kaum habe ich es flottgemacht (das ist nicht dasselbe wie flott gemacht, denn das könnte ich nicht), und erzählt muss doch werden, das muss sein, das ist das einzige, was alle verlangen. Eine Geschichte, die die Erzählenden so unumstößlich in der Welt festschraubt, dass da kommen kann wer will, dass ankommen kann wer will, dieser Platz ist längst vergeben, im Stadtzentrum, im Zentrum des Geschehens, und auch wenn hier alle wegziehen, weil der Wohnraum teuer wird und sie lieber dann woanders billig mieten, hat dieser Ort hier was zu bieten, denn es ist der Ort der schönsten Aussicht und der Bildzuschreibung: Ist das jetzt eine junge kinderlose Frau, oder ist das noch, ich meine schon wieder eine Jungfrau? Ist das jetzt schon eine Jungfrau oder nicht? Wird sie eine?

Das final girl ist jungenhaft, und wenn schon nicht jungfräulich, dann zumindest sexuell enthaltsam und desinteressiert, und sie heißt wie die Männer, die sie nicht haben will, Stevie, Marti, Joey, Max, oder eben Beate. Sie dient als Projektionsfläche, der male gaze darf sich an ihr aus- bzw. in ihr einleben, denn dieser Körper ermöglicht dem Betrachter die Identifikation mit Täter und Opfer gleichermaßen, ermöglicht vor allem eines, nämlich das Heilsversprechen, das die Jungfrau, auch wenn sie mit großer Wahrscheinlichkeit final zurückschlägt, in Bezug zu einem Erlöser setzt, der, wenn schon nicht unter uns, dann zumindest über ihr, am Bildrand, dort, beim Auge des Betrachters weilt. Dieses Unselbst also ist die Frau, sie ist ein Das, aber als Frau soll sie benutzt werden für das einzige, wofür sie da ist: Körper zu sein. Sie muss Körper sein oder sie darf gar nichts sein. Und sein darf sie dies ohnehin nicht, egal was sie ist. Also durch alle Lein- und Trennwände durchgebrannt, aus der Geschichte durchgebrannt und herausgerannt, um doch wieder in einer anzukommen, weil dieser Körper angefüllt werden muss mit Bedeutung, weil er keine Leerstelle bleiben kann – warum eigentlich nicht? – , weil was leer ist auch beherrschbar werden soll. Was zu sagen wäre, ist, dass aus dem Körper vor allem eine Monstrosität herausbricht, die die Frage, wer spricht, mit einem lauten „Ja, hier!“ beantworten möchte, mit einer Eindeutigkeit also; die sich aber im Moment des Herausbrechens der eigenen offensichtlichen Hoheitsposition gewahr wird, den Mantel zur Tarnung auszieht, schützend um die Schultern der armen Person legt als Gastgeschenk, Angstgeschenk, das diese dann postwendend so schön flauschig weich ummantelt, dass es jetzt gleich losgehen kann. Oder mit dem weitergehen, womit nie aufgehört worden ist: Namen geben und dabei andere nehmen, Wörter überwerfen, überziehen, die andere ansprechen als etwas, das sie nicht ist, um mit der Sprechbewegung einzufallen und Eindeutigkeiten so lange in den fremden Körper hineinzufurchen, bis die Nichtpassung dieser Ordnung nicht mehr auffällt und der Name sitzt wie angegossen. Nein, wie festgekettet.
Wie komme ich von hier zu meinem Körper zurück, um ihn so als Frage zu stellen, dass er die Verwechslung erlaubt?


5. Wörter überziehen und verwerfen.

Zwischentöne werden verbannt und Menschen sind Männer und Frauen, weil das eben so gemacht wird, Frauen sind Frauen und Männer sind Menschen, weil sie eben so gemacht sind. Der Körper passt nicht, aber er wehrt sich auch nicht unter seinem Angstmantel, der ihn so schön flauschig weich umhüllt, dass die Brandwunden und andere Verletzungen, andere Einschnitte, die Ein-  und Zuschreibungen nicht weiter auffallen, auffallen dürfen, obwohl sie ins Gewicht fallen, fallen sollten. Wessen Angst ist diese Angst da, die ich meine? Meine bestimmt nicht.

Wer so lange an diverse Heizkörper und Geschlechterrollen gekettet worden ist, schlägt irgendwann zurück, die Spuren sämtlicher Geister- und ihrer ungehörten, weggehörten Geschichten, die Spuren des Verschwindens im Handgepäck. Denn was zu sagen wäre, wäre, dass aus dem Körper vor allem eine Monstrosität herausspricht, die im Aussprechen sichtbar wird, die den Körper sichtbar macht, den vollgestellten, die ihn leerräumt, den Körperort und nicht wieder anfüllt mit Beherrschbarem. Damit er sich entzieht, die Verwechslung erlaubt. Das final girl als Sprechbewegung, die sich den Blicken aussetzt, sie an sich kettet, denn da ist ja bereits andersrum Erfahrung vorhanden, mit oder ohne telekinetische Fähigkeiten, die zurückspricht oder so lange zurückredet, bis die Maschine in ständiger Wechselwirkung, für die sie nicht gemacht ist, heiß läuft. Reclaim your textmonster, das so wendig ist, dass der Körper nicht mehr hinterherkommen muss, nein, dass er nichts mehr hinterherkommen muss, aber alles sein kann.

  • Gerhild Steinbuch geboren 1983 in Mödling; Studium Szenisches Schreiben in Graz und Master Dramaturgie an HfS Ernst Busch in Berlin. Letzte Arbeiten: MS Pocahontas am Schauspiel Frankfurt (2015), Finsternis am brut Wien (2016, als Freundliche Mitte), Marta an der Opéra de Lille (2016) sowie eine Stückentwicklung zum NSU gemeinsam mit Laura Linnenbaum, die zum diesjährigen Heidelberger Stückemarkt eingeladen ist. Sie ist Gründungsmitglied von Nazis und Goldmund (www.nazisungoldmund.net), einer Autor*innenallianz gegen die europäische Rechte. Ihre Texte werden vom Rowohlt Theater Verlag vertreten.