Gendertheoretische Konzepte gehen davon aus, dass sich normative Ordnungsmodelle auf die binäre Matrix heterosexueller Geschlechter- und Sexualitätskonzeptionen stützen. In diesem Zusammenhang ist der performative Charakter von Gender als Prämisse der Gender Studies ein wichtiger Ausgangspunkt und wird als „performance with clearly punitive consequences“[1] zur Überlebensstrategie. Queertheoretische Perspektiven kritisieren die repressive Binarität und rücken vielfältige Formen von Identität und Begehren sowie widersprüchliche Subjektentwürfe ins Zentrum. Sie suchen durch genderspezifische „VerUneindeutigungen“ „[…] die transformatorischen Potentiale von Polysemie und Ambiguität auszuloten“[2] und das gegenseitige Konstituierungsverhältnis von hierarchischer Geschlechterdifferenz und normativer Heterosexualität aufzuzeigen und zu unterwandern.
In Bezug auf Jelineks Texte wurde außerdem die These aufgestellt, die Kategorie Gender wäre in Zeiten der sich selbst regulierenden Wirtschaft zugunsten „übergeordneter Kategorien“ ausgelöscht worden.[3] Bei Jelinek manifestiert sich diese Tatsache auf ästhetischer Ebene, indem die Texte tendenziell ein kollektives „wir“ erzeugen, das den herrschaftlich geprägten Diskurs des neuen kapitalistischen Systems repräsentiert. In Bezug auf die Sprechinstanz drückt sich das in ästhetischen Verfahren der Ambiguierung und im Rückgriff auf das Medium Theater in Form von Konzepten der Maskerade, der Travestie und der Verkleidung aus.
Bereits anhand früherer Texte wird deutlich, dass Jelineks ästhetische Methoden mit der Aneignung und Biegung von Wirklichkeit arbeiten, um damit Geschlechterverhältnisse und deren Ausbeutung sichtbar zu machen – eine Strategie, die auch in den neueren Texten eine wesentliche Rolle einnimmt. Die Abweichung von der Norm und Überschreitung scheinbarer Ordnungsgrenzen, zeigen dabei sehr deutlich, wie diese überhaupt definiert werden, was sehr schnell sogar körperlich spürbar wird; etwa wenn Männer in Frauenkleider schlüpfen sollen. Diese Normen können zwar sehr unterschiedlich definiert sein, ein Bedürfnis diese ästhetisch zu erfahren und spürbar zu machen, gibt es jedoch weltweit, wie Britta Kallin und Keiko Nakagome anhand der USA und Japan beschreiben. Auf die spezifisch japanische Rezeption Jelineks und den Umgang mit Geschlecht in der Literatur erläutern außerdem Asako Fukuoka und Christine Ivanovic.
DIE BEITRÄGE DIESES BEREICHS:
Yasmin Hoffmann:
„Das Doppelgschöpf, das ich einst erfunden habe ...“
Christa Gürtler, Rita Svandrlik:
Ästhetische Methoden
Britta Kallin, Keiko Nakagome:
Fragen zur Ästhetik
Asako Fukuoka, Christine Ivanovic:
Jelinek in Japan
Teresa Kovacs:
„... die ehernen Blöcke männlichen Schaffens umkreisen“ – Elfriede Jelinek queert Lessing und Goethe
Anmerkungen
[1] Butler, Judith: Performative Acts and gender Construction: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory. In: Theatre Journal 4/1988, S. 519-531, S. 522.
[2] Engel, Antke: Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2002, S. 107.
[3] Vgl.: Felber, Silke (Hg.): Kapital Macht Geschlecht. Künstlerische Auseinandersetzungen mit Ökonomie und Gender. Wien: Praesens 2016 (= DISKURSE: KONTEXTE: IMPULSE. Publikationen des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums 12).