Julia Schwanke

Der Körper als Ressource zur Sicherung männlicher Vorherrschaft

Filmstill aus Franz Novotny: Die Ausgesperrten, 1982

Paulus Manker als Rainer Witowski, der im Film Peter heißt. Filmstill aus Franz Novotnys Die Ausgesperrten, 1982

In den Rezensionen zu Jelineks Prosa stößt man immer wieder auf Interpretationen, die Jelinek die Schilderung der beklemmenden „Frustration weiblicher Existenz“[1] , von der sie selbst spricht, attestieren. Sie schildere ein „Gesellschaftssystem, das die Frau in allen sozialen und politischen Bereichen in die Rolle des Objekts zu zwingen versucht.“[2] Hieraus ginge eine kategorische Vormachtstellung der Männer bzw. textimmanent der männlichen Figuren hervor, die keinerlei Legitimation bedürfte. Solch eine Auslegung ihrer Prosa ist durchaus naheliegend. Denn sie beschreibt Erika Kohut, ihre Protagonistin in Die Klavierspielerin, folgendermaßen: „Erika hat keine Geschichte und macht keine Geschichten“[3]. Frauen werden handlungsunfähig gemacht, sie haben nicht die Macht, die Geschichtsschreibung durch eigene Taten und Errungenschaften zu beeinflussen. Im Englischen kann bereits der Begriff „history“ durch seine phonetische Beschaffenheit derartige Assoziationen auslösen: Die Gestaltung der Geschichte und Kultur einer Gesellschaft ist den Männern vorbehalten. Die Frau ist dagegen lediglich die Beherrschte ihres Mannes, sie hat ihm zu dienen und ihn sexuell zu befriedigen – so könnte auch das Resümee von Lust lauten. Genauso geht es in Die Klavierspielerin nicht um Erikas Begehren. Walter Klemmer will an ihr für spätere Lieben üben. Sobald sie ihre sexuellen Phantasien und Wünsche in einem Brief an Walter äußert, weist er sie ab; er ekelt sich ob ihrer Perversitäten, sie sei ein klinischer Fall. Auch Gretl Witkowski existiert in Die Ausgesperrten einzig als schmeichelnder Spiegel für ihren Mann Otto. Ein Subjektstatus sieht anders aus.
Diesen – tatsächlich frustrierenden – Lesarten von Jelineks Prosa kann aber eine alternative Lesart an die Seite gestellt werden, die die Frustration über die weiblichen Schicksale auf zynische Weise erträglicher macht. Bei intensiver Betrachtung ihrer Romane kann festgestellt werden, dass die vermeintlichen Machtinhaber, die Figuren, die als gewalttätige Patriarchen oder frauenverachtende Intellektuelle auftreten, von vornherein sozial kastriert sind oder es immerhin im Verlauf der Handlung werden. Jelinek beraubt sie der vermeintlich natürlichen männlichen Macht.
Wenn beispielsweise Otto Witkowski einbeinig aus dem Krieg zurückkehrt und vom SS-Offizier zum Nachtportier in einem Hotel wird, so wird er maßgeblich in seiner gesellschaftlichen Macht beschnitten. Sein Körper ist nun versehrt, womit er als Mann anderen Männern gegenüber bereits an Autorität und Macht einbüßt. Doch vor allem der Klassenabstieg, der für ihn mit Ende des Krieges folgte, schwächt ihn erheblich in seiner Machtposition. Hans Sepp kommt bereits als Sohn eines Arbeiters auf die Welt und kann durch die Unüberwindbarkeit der Klassenschranken gar nicht erst in eine machtvolle Position aufsteigen. Lediglich die heterosoziale Macht über Frauen scheint noch vorhanden zu sein. Doch es ist den männlich gezeichneten Figuren nicht immer vergönnt, reale Macht über Frauen auszuüben. Dies wird an der Figur Walter Klemmer deutlich, wenn er in einer Art ernstem Spiel des Wettbewerbs, welches sich in das Gewand von intellektuellen Auseinandersetzungen hüllt, an Erika als Gegnerin scheitert. Genauso versagt Hans Sepp bei Sophie Pachofen, welche – mit enormer bürgerlicher Überheblichkeit ausgestattet – Hans immer wieder harsch abweist oder ihn nur zu ihrem Vergnügen missbraucht.

Indem Jelinek den männlich gezeichneten Figuren auf unterschiedlichen Ebenen die Macht nimmt, höhlt sie Begrifflichkeiten wie Mann/Frau und damit verbundene Dualismen aus. Mit einem Machtentzug rüttelt sie an den Grundfesten der Männlichkeiten. Denn das Patriarchat schreibt den Männlichkeiten einen strengen Eigenschaftskatalog vor, an welchem sie sich zur Konstitution ihrer Geschlechtlichkeit ausschließlich zu bedienen haben. Die Machtausübung bzw. das Herrschen über andere gehören obligatorisch dazu. Entwendet Jelinek den Männern solch ein zentrales Attribut, sodass eine bruchfreie Männlichkeit nicht mehr performt werden kann, bringt dies das System zum Kollabieren. Denn eine Alternative gibt es nicht. Michael Meuser hält fest, dass sich alle Männlichkeiten bei der Konstitution ihrer Männlichkeit – unabhängig von ihrer realen sozialen Position – am Ideal der hegemonialen Männlichkeit orientieren. [4] Alles andere ist prinzipiell ein „ungültiger Pfad“. Wenn diesen Männlichkeiten die Zugänge zu einer hegemonialen Position verwehrt werden, etwa durch die Unüberwindbarkeit der Klassenschranken oder intellektuelle Unterlegenheit, und ihre Vorherrschaft somit in Frage gestellt ist, dann reagieren sie in aller Regel mit kompensatorischer Gewalt, um die Macht zurückzuerlangen und damit diese ultimative Männlichkeit dennoch zu verkörpern. Die Gewalt wird vor allem auf heterosozialer Ebene angewendet, denn das oberste Gebot ist, die Vorherrschaft über Weiblichkeiten zu sichern, womit durch Komplizenschaft mit den Herrschenden der „ungültige Pfad“ immerhin zu einem „Trampel-Pfad“ erklärt wäre.

Die Ausübung von Gewalt kann selbstverständlich auch auf psychischer oder ökonomischer Ebene funktionieren. Wenn aber ein Walter Klemmer einer Erika Kohut intellektuell nicht das Wasser reichen kann oder ein Otto Witkowski aufgrund seiner schmalen Invalidenrente in der Familie nicht den Ernährer mimen kann, so bleibt ihnen nur die vermeintlich natürliche körperliche Überlegenheit der Männer, mit der sie ihre Vorherrschaft gewährleisten können.
Die männliche Überlegenheit über den weiblichen Körper funktioniert über die Einschreibung bestimmter Attribute in den männlichen Körper, die als überlegen wahrgenommen werden: die Demonstration von Stärke, Jugendlichkeit, Fitness, Sportlichkeit und nicht zuletzt die Zurschaustellung der sexuellen Potenz und Triebhaftigkeit. Diese Herstellung von Männlichkeit, über den als biologisch männlich deklarierten Körper mit seinen zugewiesenen Eigenschaften, dient den Männlichkeiten zur Legitimation ihrer Vorherrschaft, welche in Kraft tritt, sobald Weiblichkeiten körperlich überwältigt wurden.
Wie wichtig der Körper zur Konstitution eines hegemonialen Status’ insgesamt ist, wird schnell deutlich, wenn man die Figur Rainer Witkowski betrachtet. Er profiliert sich über seine Intellektualität und Klugheit, über das Referieren existentialistischer Lektüre und das Verfassen von Poesie. Doch selbst er hat die Normen und Konventionen des patriarchalen Herrschaftssystems derart verinnerlicht, dass er Hans Sepp mehrfach körperliche Gewalt androht. Dies geschieht vor allem in Situationen, in denen er sich Hans unterlegen fühlt; wenn er beispielsweise merkt, dass Hans’ körperorientierte Männlichkeitsperformanz auf mehr Resonanz trifft als seine eigene. Auch die Erzählinstanz nutzt immer wieder Rainers Körperlichkeit, um ihn zu degradieren, indem sie ihm Kümmerlichkeit und Schwäche attestiert.

Hans Sepp wird ausschließlich über seinen Körper definiert. Dieser strahlt eine enorme Stärke aus, dementsprechend wird er bei den Überfällen auch zum ausführenden Organ. Er spricht sich interessanterweise aber dezidiert gegen Gewalt aus. Selbst wenn sein Ausspruch möglicherweise dem Umstand geschuldet ist, dass Hans offen ersichtlich über große Körperkraft verfügt und er daher der Ansicht ist, dass seine Stärke und somit Männlichkeit keiner Beweispflicht unterliegt, ist es Fakt, dass er tatsächlich immer wieder Gewalt anwendet. Dies tut er auch zu Kompensationszwecken, wenn Defizite in Bezug auf seine Männlichkeit sichtbar werden. Neben der Prügel für die Opfer der Raubüberfälle tritt Hans in Erscheinung, wenn er Sophie den Mundwinkel blutig schlägt, Rainer zum „Haklziehen“[5] herausfordert oder Anna bei eigenem sexuellen Unvermögen brutal traktiert. All diese Handlungen sollen ihn zum Machtinhaber erheben und somit seine Männlichkeit (wieder-)herstellen. Er versucht bei allem Mangel an Ressourcen auf anderen Ebenen, seiner Identität durch die Demonstration von körperlicher Fitness Ausdruck zu verleihen und so seinen Selbstwert zu erhöhen. Er bedient sich zur Konstruktion seiner Männlichkeit maßgeblich seiner einzigen verlässlichen Ressource: seines Körpers.
Otto Witkowski kann wohl als ein Paradebeispiel für die Relevanz des Körpers bei der Konstitution von Männlichkeit dienen. Wenn er sich nicht gerade in Illusionen über sein männliches Dasein flüchtet oder Gretl exzessiv verprügelt, wird er nicht müde, zu betonen, was er trotz seines versehrten Körpers noch alles zu tun in der Lage ist. Er hebt immer wieder hervor, dass er trotz des fehlenden Beines durchaus fähig ist, mit anderen Männern zu konkurrieren – vor allem hinsichtlich der sexuellen Potenz. Tatsächlich steht er jedoch kurz vor der Impotenz und sucht auf der Arbeit nach erregenden Anekdoten für seine Frau Gretl, um sie befriedigen zu können. Die permanente Betonung seines vermeintlich intakten, durch Stärke und Potenz ausgezeichneten Körpers, lassen Otto letztlich – vor allem in Anbetracht der zahlreichen Brüche in dieser Hinsicht – schlicht verzweifelt und lächerlich erscheinen. Otto wird zur Persiflage einer traditionellen Männlichkeit, die sich zur Sicherung der männlichen Vorherrschaft auf die Ressource Körper beruft.

Es ist also die hoch geschätzte Ultima Ratio der Gewalt, die den Männlichkeiten ob des offensichtlichen Legitimationsproblems des Patriarchats zur Vorherrschaft verhelfen soll. Es mag zunächst den Eindruck machen, dass diese Strategie auch funktioniert, wenn etwa Walter Erika vergewaltigt oder Otto seine Frau mit unterschiedlichsten Requisiten sexuell malträtiert und Gretl anschließend mit Sonnenbrille am Frühstückstisch sitzt. Doch Jelinek lässt diesen Eindruck nicht so stehen. Denn es ist immerhin auch Gretl, die ihren patentierten Hochziehgriff anwenden muss, wenn Otto beim Versuch, sie zu vergewaltigen, stürzt und nicht mehr hochkommt. Und es ist Erika, die Walter mit ihrem Brief einen sadomasochistischen Vertrag vorlegt, der ihre Herrschaft über ihn sichern soll. Nicht zuletzt ist es Anna Witkowski, die die Aushöhlung der Begriffe Mann/Frau massiv vorantreibt. Anna, die sich nichts sehnlicher wünscht als einen Klassenaufstieg und damit einhergehende gesellschaftliche Macht, eignet sich ein Verhalten an, das man definitiv als männlich konnotiert beschreiben kann. Sie schlägt massiv auf die Opfer der Überfälle ein. Und es verschafft ihr offenbar tatsächlich das erhoffte Machterleben: Genussvoll leckt sie sich Schweiß und Blut des Opfers von ihrer „Schlaghand“[6]. Jelinek tut hier also zweierlei. An der Figur Anna wird zum einen der Konstruktionscharakter von komplementären Begriffspaaren wie Mann/Frau besonders evident. Indem Jelinek weiblich gezeichneten Figuren temporäre Macht und Stärke verleiht, zeigt sie auf, wie willkürlich solche rigiden geschlechtlichen Festschreibungen eigentlich sind. Zum anderen kastriert der Machtentzug die männlich gezeichneten Figuren nicht nur, sie sind außerdem in der Konstruktion ihrer Männlichkeit enorm irritiert. Sie wähnen sich zwar trotz Figuren wie Anna oder Erika, welche die rigiden Geschlechtergrenzen sprengen, weiterhin in Sicherheit bezüglich der Gültigkeit von obligatorischen Attributen einer hegemonialen Männlichkeit. Jelinek lässt sie aber nicht all diese Eigenschaften verkörpern, woraus ein Defizitempfinden resultiert, das es zu kompensieren gilt.

Jelinek hinterfragt mit ihren Figurenkonstruktionen die Vorherrschaft der Männer. Sie übt massive Kritik am Patriarchat, indem sie berechtigte Zweifel an der Legitimation des Patriarchats an sich äußert. Trotz ihrer festen Verankerung in der Zweigeschlechtlichkeit kritisiert Jelinek darüber hinaus die Kategorien Mann und Frau im Speziellen, indem sie diese Begrifflichkeiten aushöhlt bzw. die Willkürlichkeit ihres Inhalts aufzeigt. Jelinek zeichnet gebrochene Männlichkeiten, die im verzweifelten Kampf um den Status einer hegemonialen Männlichkeit zum Scheitern verurteilt sind. Sie alle sind aufgrund verschiedener Positionierungen in der Gesellschaft nicht in der Lage, diese hegemoniale Stellung einzunehmen und damit uneingeschränkte Macht auszuüben. Wenn sie schon auf homosozialer Ebene nicht fähig sind, zu herrschen, so fühlen sie sich umso mehr gezwungen, die Herrschaft über Frauen zu erlangen bzw. aufrechtzuerhalten. Dafür bleibt ihnen nur die Anwendung körperlicher Gewalt, da Jelinek ihnen andere Möglichkeiten der Herrschaftsausübung bereits genommen hat.

Nahezu jeden Macht- bzw. Männlichkeitsverlust kompensieren die Figuren mit der Anwendung körperlicher Gewalt. Hiermit sollen die Defizite, die sie verspüren, weil sie das Ideal der hegemonialen Männlichkeit nicht erreichen können, wenigstens nivelliert werden. In der Handlungspraxis der massiven Gewaltanwendung lässt sich die Verunsicherung darüber, wie die Männlichkeiten den Begriff Mann nun füllen sollen, damit sie weiterhin unhinterfragte Herrscher im System sind, einwandfrei ablesen. Die Akteure sind verzweifelt, denn die Performanz einer traditionellen Männlichkeit, die bislang ein recht zuverlässiges Indiz für Hegemonie war, können sie schlicht nicht erreichen. Sie sind arm, körperlich versehrt, ungebildet, kümmerlich und impotent. Die vermeintliche Überlegenheit des als männlich deklarierten Körpers muss nun Abhilfe schaffen, um ihre männliche Vorherrschaft zu legitimieren. Gerade die Tatsache, dass Jelineks Männlichkeiten so vehemente Verfechter des patriarchalen Herrschaftssystems sind, des Systems also, das sie selbst in der homosozialen Dimension massiv unterordnet und sie hier am Herrschen hindert, hebt die Paradoxie dieser Herrschaftsform besonders hervor. Das Patriarchat kann nur weiter existieren, wenn die Männlichkeiten, die davon selbst untergeordnet werden, dieses System durch Komplizenschaft mit den tatsächlichen Herrschern aufrechterhalten. Mit dem kategorischen Scheitern ihrer Männlichkeiten entlarvt Jelinek somit die Absurdität des Patriarchats.
Was Jelinek hier vorführt, sind persiflierte Gewalttäter, die mit letzter Kraft versuchen, sich um jeden Preis ein Stück Macht zu bewahren. Und diese Erbärmlichkeit der Figuren, die gepaart mit Ironie und Sarkasmus zur Persiflage dieser traditionellen Männlichkeit wird, ist es doch letztlich, die die Jelinek’sche Lektüre bei aller Frustration erträglicher macht.

  • Julia Schwanke schloss ihr Studium der Germanistik und Geschlechterforschung an der Universität Göttingen im Dezember 2012 mit dem Master of Arts ab. Ihre Abschlussarbeit schrieb sie zur Konstruktion von Geschlecht bei Antje Rávic Strubel. Von 2013 bis 2015 gab sie als wissenschaftliche Hilfskraft für Lehre an der Universität Göttingen im Studienfach Geschlechterforschung verschiedene Lehrveranstaltungen für Bachelor- und Masterstudierende. Die inhaltlichen Schwerpunkte hierbei waren kritische Männlichkeitsforschung aus intersektionaler Perspektive sowie Klasse und Klassismus. Seit April 2015 ist sie Promotionsstipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Anmerkungen


[1] Rachinger, Johanna: Die Klavierspielerin - von Elfriede Jelinek. In: Kurier, 7.12.2011.

[2] Willeke, Aline: Instrument der Lustbefriedigung. Über Lust von Elfriede Jelinek. http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=359 (6.2.2017), datiert mit 1.8.1999 (= monatlich erscheinendes Rezensionsforum für Literatur und für Kulturwissenschaften).

[3] Jelinek, Elfriede: Die Klavierspielerin. Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2004, S. 17f.

[4] Vgl.: Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Wiesbaden: Springer 2010, S. 108.

[5] Jelinek, Elfriede: Die Ausgesperrten. Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg 2013, S. 64.

[6] Ebd. S. 10.