Britta Kallin, Keiko Nakagome

Internationale Perspektiven auf Jelinek und Gender

Fragen zum Körper

 

Gibt es in Ihrem Land eine öffentliche Debatte pro/contra Prostitution und sind Ihnen Texte oder Stellungnahmen Jelineks dazu bekannt?

Britta Kallin

Es gibt in der Tat eine Debatte gegen die Kriminalisierung von Sexarbeit bzw. Prostitution, die in den USA laut Gesetz verboten ist. Es geht einmal um die Legalisierung von Prostitution, aber auch um den Kampf gegen den zurzeit blühenden Menschenhandel bzw. Mädchen- und Frauenhandel. Eine Reihe von Organisationen, lokalen Regierungen in den Bundesstaaten und Städten, Publikationen und NGOs versuchen, den Mädchenhandel aus Südamerika und Asien einzudämmen bzw. zu stoppen. Es gibt unter anderem „safe harbor laws“ gegen „human trafficking“ hier in den USA, die diese Geschäfte kippen sollen. Es haben sich eine Reihe von Organisationen in der Nähe von Umschlagplätzen, besonders in den großen Städten der USA, zusammengetan, um gegen die Versklavung von Mädchen aber auch Jungen zur Sexarbeit vorzugehen. Zwangsprostitution von Minderjährigen und Volljährigen ist eines der Übel unserer Zeit, was durch die zunehmende Verarmung in einigen Ländern und die Möglichkeiten der Reichen in den wirtschaftlich starken, kapitalistischen Systemen unserer globalisierten Welt immer weiter zunimmt. 

Jelinek hat sich zur Prostitution in einer Reihe von Texten geäußert wie z.B. im Vorwort Das weibliche Nicht-Opfer von Sexualisierte Gewalt: Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern, ein Buch das von Helga Amesberger, Katrin Auer und Brigitte Halbmayer (2004) herausgegeben wurde. Außerdem beschreibt Jelinek in Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte (1979) die SM und Sexarbeit, und sie geht in allen Teilen von Über Tiere (2007) darauf ein, wie Agnieszka Jezierska in einem Artikel darstellt.[1]

Keiko Nakagome

In unserem Land gibt es in Bezug auf dieses Thema hauptsächlich darüber eine öffentliche Debatte, ob es während des Zweiten Weltkriegs staatlich organisierte Prostitution gab. Was man nicht öffentlich diskutieren will, ist, dass auch Japanerinnen dazu gezwungen worden sind, als Prostituierte für die Truppen in den verschiedenen asiatischen Ländern zu arbeiten. Nur die Frage, ob es darunter auch Frauen aus Korea, sogenannte „Ianfu“ gab, ist umfangreich diskutiert. Was jüngere Frauen heutzutage betrifft, diskutiert man nicht öffentlich, aber Probleme bezüglich der Misshandlung und dem Einsperren von Frauen und Mädchen und Mordfälle durch Stalker werden allmählich journalistisch aufgearbeitet. Vor allem gibt es einige Berichte darüber, dass junge Frauen, die sich wünschen, Sängerin oder Schauspielerin zu werden, von Agenturen ausgenutzt und dazu gezwungen werden, in der Porno-Industrie zu arbeiten. Es gibt in Japan viele Frauen, die in der Sex-Industrie arbeiten, aber die tatsächlichen Zustände sind für uns außenstehende Frauen fast unsichtbar, weil vor allem Männer diese Etablissements besuchen. Elfriede Jelinek fragt sich in ihrem Essay Das weibliche Nicht-Opfer (2004): „soll sie benutzt werden für das einzige, wofür sie da ist“? Sie meint hier die Frauen in KZ -Lagern:

Und diese Geschlechterkonstruktion, die im wesentlichen immer noch gilt, wird im Krieg zur völligen Annihilierung des weiblichen Opfers. Das, was nicht sein darf, das weibliche Selbst, das, wenn es schön ist, gesehen werden darf, das fühlen muß, wenn es nicht hören will, aber natürlich auch dann, wenn es, um sich zu retten, gern hören und gehorchen würde, dieses Unselbst also ist die Frau, sie ist ein Das, aber als Frau, soll sie benutzt werden für das einzige, wofür sie da ist: Körper zu sein. Sie muß Körper sein oder darf gar nichts sein. Und sein darf sie ohnedies nicht, egal was sie ist. Zuvor soll sie aber noch – als Körper- verwendet werden und dann weggeschmissen, wie ein schmutziges, zerknülltes Papiertaschentuch. Eine Verwendung wird man für sie noch haben, und es ist immer dieselbe, es ist das, wofür sie bestimmt ist, denn dafür hat die Natur ihr die Löcher gelassen, und alle kann man sie benutzen.[2]

Die Verhältnisse der Frauen in KZ-Lagern waren viel schlechter als die der japanischen Frauen auf den Schlachtfeldern, aber beide wurden zu ähnlich harter Körperarbeit gezwungen. Die Japanerinnen haben bis heute darüber geschwiegen. Die jetzige Regierung ist mit dem Ianfu-Problem im Nachbarland Korea beschäftigt, aber sie schweigt von den Frauen des eigenen Landes. Von Jelineks Stellungnahmen zu dem Thema ist mir nichts bekannt außer die Behandlung des Themas in Über Tiere (2006), der Fortführung von Elfriede Jelineks Text Begierde &Fahrerlaubnis (eine Pornographie) (1986).

 

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  • Britta Kallin promovierte in Germanistik an der Universität von Cincinnati. Seit 2000 arbeitet sie an der School of Modern Languages des Georgia Institute of Technology, seit 2008 als Associate Professor of German. Spezialisiert auf zeitgenössische deutsche und österreichische Frauenliteratur und Theater. Autorin u.a. von The Representation of Roma in Elfriede Jelinek’s „Stecken, Stab und Stangl“, Marlene Streeruwitz's Novel „Nachwelt“ as Postmodern Feminist Biography sowie Die Feder führ ich unermüdlich. Helmina von Chezy's „Rosamunde“ as Intertext in Elfriede Jelinek's „Der Tod und das Mädchen III (Rosamunde)“.
  • Keiko Nakagome Studium der Germanistik und der Philosophie. Seit 2012 Professorin für Germanistik an der Daito-Bunka Universität, Tokyo. Buchveröffentlichung: Gender und Literatur. Blicke von Bachmann, Wolf und Jelinek (1996). Übersetzungen aus dem Deutschen u.a. von Kassandra und Vier Vorlesungen von Christa Wolf, Die Klavierspielerin, Lust (mit Rita Briel), Der Tod und das Mädchen I-V (Prinzessinnendramen), Das Lebewohl und zuletzt, gemeinsam mit Kazuko Okamoto und Tzuneo Sunag, Die Kinder der Toten von Elfriede Jelinek. Mitglied des Internationalen Forschungsgremiums des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums, Internationale Partnerin der Forschungsplattform Elfriede Jelinek.

Anmerkungen


[1] Jezierska, Agnieszka: "Das ist mein Thema: Moral! Moral! Sour!" Elfriede Jelinek schreibt über Prostitution. https://jelinektabu.univie.ac.at/moral/prostitution/agnieszka-jezierska/ (21.12.2016), datiert mit 16.1.2014 (= TABU:Bruch. Überschreitungen von Künstlerinnen. Interkulturelles Wissenschaftsportal der Forschungsplattform Elfriede Jelinek).

[2] Jelinek, Elfriede: Das weibliche Nicht-Opfer. http://www.elfriedejelinek.com/ (28.12.2016), datiert mit 23.6.2004 (Elfriede Jelineks Website, Rubriken: zu Politik und Gesellschaft, 2004).