Marie-Luise Angerer

Intensive Milieus

Das Auflösen natürlicher Körpergrenzen und die Verschränkung von Mensch und Anderem spielt bei Jelinek eine wesentliche Rolle, etwa wenn sie den Mythos der Arachne zitiert und die Arbeiterin mit ihrer Maschine gleichsetzt, wie in Im Wettbewerb

Haraway hat den Menschen in den frühen 1980er Jahren zwischen Tier und Maschine positioniert und in ihrem Manifest für Cyborgs ([1985] 1990) erklärt, dass in Zeiten von porös werdenden Grenzziehungen zwischen natürlichen und artifiziellen Organismen Hybride aufzutauchen beginnen: halb Tier und Mensch, halb Maschine und Mensch – Mischwesen, Cyborgs. Doch Hybride sind weder Zukunftsfiguren noch Prototypen für Science-Fiction-Filme und Computerspiele, sondern vor allem Verweise auf das Hier und Jetzt. Und dieses zeigt heute deutlich, dass Gemeinsamkeiten, graduelle Unterschiede und Relationen zwischen dem Menschen und anderen wichtiger geworden sind, wodurch dieser zu einer Spezies unter anderen „significant others“[1] wird. Dadurch rückt auch der Körper in seiner Vernetzung in den Vordergrund, der heute nicht länger als autopoetisches, nur Energie austauschendes System (wie im 19. und teilweise noch 20. Jahrhundert) verstanden, sondern als Informationen verarbeitender, als „biomediated-body“[2]  – konzipiert wird.

Mit Beginn des 21. Jahrhunderts werden die Beziehungen zwischen Körpern, Um- und Innenwelten informationstechnologisch verschaltet, Körperdaten kommunizieren mit Umweltdaten, neuronale Signale steuern Körper- und Wohntemperatur, und die kleinen Schwestern (wie Siri und andere von Rosalind Picard, der Begründerin von affective computing, bezeichnet werden, um die Angst vor Big Data klein zu reden[3]) organisieren zunehmend alltägliche Abläufe. Derzeit wird mit hohem Druck daran gearbeitet, diese digitalen Hilfen als „neue Andere“ dem Menschen zur Seite zu stellen, als umsichtig planende und gefühlvoll agierende non-humans, die den Menschen nun auch dort überbieten oder ersetzen sollen, worin er sich von den Maschinen immer (noch) unterschied: Affekt und Emotion galten bis Ende des 20. Jahrhunderts als diejenige menschliche Dimension, die weder berechenbar noch restlos auszuklammern war. Heute greifen die Algorithmen des affective computing längst ein, um Mensch und Maschine affektiv, das heißt psycho-kybernetisch, zu verbinden. Dies ist nicht das Ende des Menschen – seine körperlich-mentale Überwindung, wie die TranshumanistInnen gerne behaupten – , aber es bedeutet sicherlich eine radikale Verschiebung des Humanen aus dem jahrhundertealten fiktiven Zentrum des Humanismus, sodass Menschen mit non-, para- oder posthumanen Anderen neue intensive Milieus organisieren werden (müssen).[4]

  • Marie-Luise Angerer Studium der Kunstgeschichte, Romanistik, Philosophie und Kommunikationswissenschaften in Wien. Lehrstuhl für Medientheorie/Medienwissenschaft am Institut für Künste und Medien an der Universität in Potsdam. Im Zentrum ihrer Forschung steht das Verhältnis von Körper und Medientechnologien, die Beziehung von sozialen Fantasien und Medien sowie die Erarbeitung einer „posthumanen/relationalen“ Medientheorie.

Anmerkungen


[1] Vgl. Clough, Patricia T.: The Affective Turn: Political Economy, Biomedia, and Bodies. In: Gregg, Melissa (Hg.): The affect theory Reader. Durham: Duke University Press. 2010, S. 206-228.

[2] Vgl. Haraway, Donna: The Companion Species Manifesto: Dogs, People, and Significant Otherness. Chicago: Prickly Paradigm 2003.

[3] Vgl. Picard, Rosalind: Affective Computing. Camebridge: MIT Press 2000.

[4] Interessanterweise taucht die emphatische Anrufung neuer Milieus heute im aktuellen politischen Diskurs überall auf. Hier ein Beispiel aus Österreich angesichts der dramatischen politischen Zweiteilung des Landes bei der Bundespräsidentenwahl 2016: „Doch in Wahrheit geht es um die Wiedererschaffung von Milieus. Nur so kann es wieder zu nachhaltiger Identifikation mit konstruktiver Politik kommen. Und diese Milieus werden neu sein, aus der digitalen Welt kommen. Es geht um die aktive Gestaltung von Lebenswelten. Denn eines offenbart die Wut der Rechten: die Sehnsucht nach etwas Gemeinsamem.“ Schalko, David: Aufstand der beleidigten Massen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.06.2016, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/demonstration-der-identitae...-in-oesterreich-14298595.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (17.2.2017) (=Webite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung).